Post by Deleted on Jan 10, 2022 9:37:04 GMT
»Alternative für Dilettanten«
So schimpfen sie bei der AfD über die eigene Partei
Der Start in die Legislaturperiode war schwach: Drei Abgeordnete haben die Fraktion verlassen, Mitarbeiter rebellieren – und dann gibt es noch einen Neujahrswunsch, der für Alice Weidel zum Problem werden könnte.
Am 1. Dezember bekamen Bundestagsabgeordnete der AfD einen Brief, der es in sich hatte. Mitarbeiter der Fraktion beschwerten sich in sechs Punkten über die eigene Personalabteilung. Diese mache eine »Nasenpolitik«, heißt es in dem internen Schreiben, das dem SPIEGEL vorliegt.
Bei der Auswahl und Bezahlung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gehe es nicht um Qualifikation, sondern um »persönliche Fehden«, verdiente Kolleginnen und Kollegen wüssten nicht, ob sie ihren Job im neuen Jahr noch hätten. Außerdem warfen die Verfasser den Personalverantwortlichen vor, Geld zu verschwenden. Es sei geplant, eine fünfte Person in der Personalabteilung einzustellen, obwohl Linke und Grüne mit jeweils zwei Personen auskämen.
Der Beschwerdebrief ist symptomatisch für den Zustand der AfD-Fraktion: Die Stimmung ist auf einem Tiefpunkt. Drei auf AfD-Ticket in den Bundestag gewählte Abgeordnete sind nun schon nicht mehr Teil der Fraktion. Einer hatte sich in einem Chat als »das freundliche Gesicht des NS«, also des Nationalsozialismus, bezeichnet. Er trat der Fraktion erst gar nicht bei. Ein anderer hatte mit dem rechtsextremen Querdenker Attila Hildmann zusammengearbeitet und antisemitische Nachrichten verschickt. Er erklärte vergangene Woche seinen Rückzug aus Fraktion und Partei. Ein Dritter tat es ihm gleich, allerdings, weil es »Grenzüberschreitungen« seiner Kollegen gegeben habe.
Wegen »Grenzüberschreitungen« und Telegram-Chats: Zwei Abgeordnete verlassen AfD und Bundestagsfraktion
Zwei Abgeordnete verlassen AfD und Bundestagsfraktion
Der Leiter der Social-Media-Abteilung schrieb in einer internen Rundmail von »menschlich inakzeptablem« Umgang, »groteskem Führungsstil« und erklärte seine Kündigung sowie die zweier Kollegen. Ein anderer Mitarbeiter beschwerte sich, dass mit ihm bislang kein Gespräch geführt worden sei. Er werde deswegen wohl demnächst wieder für die Bundestagsverwaltung arbeiten, von wo er zur AfD gewechselt war. Die Fraktion diskutierte die Fälle kurz in einer Sitzung, dann wurde die Schlichtungskommission beauftragt. Das Problem löste sie damit nicht.
Die AfD stellt nach der Wahl weniger Abgeordnete als in der letzten Legislaturperiode, was auf die Stimmung drückt. Vor allem aber wirkt die Fraktion, die immer das Machtzentrum der Partei war, orientierungslos. Außer ihrem Kampf gegen die Einführung einer Impfpflicht haben die extrem Rechten derzeit kein prägendes Thema. Stattdessen befürchten einige, dass sich die Rolle als Antreiber der vielerorts gewalttätigen und antisemitischen »Querdenker«-Demos rächen könnte. Für ein eigenes starkes Profil reiche das nicht, sagen die Kritiker. Die Umfragewerte der AfD sind schlecht, und noch immer droht die Einstufung der gesamten Partei als rechtsextremistischer Verdachtsfall durch den Verfassungsschutz. Eine Entscheidung dazu wird im März erwartet. Und all das in einer Partei, die tief gespalten ist und sich seit Monaten in einem weiteren zehrenden Machtkampf befindet.
Funktionäre und Mitarbeiter sprechen mittlerweile von der »Alternative für Dilettanten«, manche bescheinigen den eigenen Kolleginnen und Kollegen »Politikunfähigkeit«. Von Einigkeit keine Spur.
Viele Abgeordnete machen Alice Weidel und Tino Chrupalla, die Fraktionschefs, als Schuldige aus. Sie hätten den Laden nicht im Griff, es fehle der erfahrene Alexander Gauland, der zuvor die Fraktion mit Weidel angeführt hatte. Auf ihn hätten die meisten gehört, er habe als »Brückenbauer« gegolten. Weidel und Chrupalla dagegen führten die Fraktion mit härterer Hand, heißt es. Sie würden Diskussionen auch mal abbrechen und damit die »Meinungsfreiheit verletzen«, wie ihre Kritikerinnen und Kritiker sagen. Inhaltliche Impulse aber kämen kaum.
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AfD-Wahlkampf mit Weidel und Chrupalla: Der Versuch einer großen Täuschung Von Veit Medick und Ann-Katrin Müller
Der Versuch einer großen Täuschung
Tatsächlich verweigern mittlerweile viele den Chefs die Gefolgschaft, selbst wenn es darum geht, die Arbeit zu professionalisieren. So hatten Weidel und Chrupalla gemeinsam mit dem fürs Personal zuständigen Fraktionsvize Leif-Erik Holm vorgeschlagen, die Arbeitskreise neu zu organisieren, damit mehr von deren Vorschlägen beim Fraktionsvorstand ankommen. Doch die Fraktion lehnte den entsprechenden Stellenplan ab. Sie wollten verhindern, dass die Fraktionsspitze mehr Macht und Kontrolle bekommt.
Andere sehen die Zusammensetzung der neuen Fraktion als Grund allen Übels. Zu viele »Wirrköpfe« seien dort, der »gärige Haufen«, von dem Gauland sprach, sei gewachsen. Die Pandemie habe zu einer weiteren Radikalisierung geführt.
Zudem fehlt der Parteispitze eine Idee, wie man thematisch weitermachen will, wenn die Pandemie sich in eine endemische Lage wandelt und es am Ende womöglich gar keine Impfpflicht geben wird. Mit welchen Thesen die AfD dann bei ihren Anhängerinnen und Anhängern punkten will, dafür gibt es keinen Plan, egal wen man fragt.
Fraktionschef Chrupalla winkt auf Anfrage ab: Themen gebe es auch nach Corona zur Genüge. Die »Reibungspunkte und Findungsprozesse« zu Beginn der Legislatur seien »ganz normale Prozesse«. Schließlich sei es auch »die erste Fraktionsübergabe, die die AfD je machen musste«. Die Kommunikation innerhalb der Fraktion »kann man immer verbessern«, gibt er zu, und natürlich müssten sich die Abgeordneten in der neuen Zusammensetzung noch »aneinander gewöhnen«. Insgesamt aber, sagt der Fraktionsvorsitzende, laufe es gut.
Einige in der Fraktion sehen das anders. Seit Tagen macht ein Facebook-Beitrag des Abgeordneten Jürgen Pohl aus Thüringen die Runde, der sich zum Neuen Jahr wünschte: »Genug mit den liberalen Freunden in unserer Partei.« Die Forderung fand offenbar sogar Anklang in der Fraktionsspitze. Einem Account von Alice Weidel jedenfalls gefiel das, zumindest zeitweise. Inzwischen ist das »Gefällt mir« verschwunden. Die Screenshots davon aber werden fleißig verschickt, der Fall soll sogar im Bundesvorstand besprochen werden.
www.spiegel.de/politik/deutschland/afd-im-bundestag-alternative-fuer-dilettanten-a-ec7f32f1-39fb-4f75-bd01-445c2656826f
the knife phludowin
So schimpfen sie bei der AfD über die eigene Partei
Der Start in die Legislaturperiode war schwach: Drei Abgeordnete haben die Fraktion verlassen, Mitarbeiter rebellieren – und dann gibt es noch einen Neujahrswunsch, der für Alice Weidel zum Problem werden könnte.
Am 1. Dezember bekamen Bundestagsabgeordnete der AfD einen Brief, der es in sich hatte. Mitarbeiter der Fraktion beschwerten sich in sechs Punkten über die eigene Personalabteilung. Diese mache eine »Nasenpolitik«, heißt es in dem internen Schreiben, das dem SPIEGEL vorliegt.
Bei der Auswahl und Bezahlung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gehe es nicht um Qualifikation, sondern um »persönliche Fehden«, verdiente Kolleginnen und Kollegen wüssten nicht, ob sie ihren Job im neuen Jahr noch hätten. Außerdem warfen die Verfasser den Personalverantwortlichen vor, Geld zu verschwenden. Es sei geplant, eine fünfte Person in der Personalabteilung einzustellen, obwohl Linke und Grüne mit jeweils zwei Personen auskämen.
Der Beschwerdebrief ist symptomatisch für den Zustand der AfD-Fraktion: Die Stimmung ist auf einem Tiefpunkt. Drei auf AfD-Ticket in den Bundestag gewählte Abgeordnete sind nun schon nicht mehr Teil der Fraktion. Einer hatte sich in einem Chat als »das freundliche Gesicht des NS«, also des Nationalsozialismus, bezeichnet. Er trat der Fraktion erst gar nicht bei. Ein anderer hatte mit dem rechtsextremen Querdenker Attila Hildmann zusammengearbeitet und antisemitische Nachrichten verschickt. Er erklärte vergangene Woche seinen Rückzug aus Fraktion und Partei. Ein Dritter tat es ihm gleich, allerdings, weil es »Grenzüberschreitungen« seiner Kollegen gegeben habe.
Wegen »Grenzüberschreitungen« und Telegram-Chats: Zwei Abgeordnete verlassen AfD und Bundestagsfraktion
Zwei Abgeordnete verlassen AfD und Bundestagsfraktion
Der Leiter der Social-Media-Abteilung schrieb in einer internen Rundmail von »menschlich inakzeptablem« Umgang, »groteskem Führungsstil« und erklärte seine Kündigung sowie die zweier Kollegen. Ein anderer Mitarbeiter beschwerte sich, dass mit ihm bislang kein Gespräch geführt worden sei. Er werde deswegen wohl demnächst wieder für die Bundestagsverwaltung arbeiten, von wo er zur AfD gewechselt war. Die Fraktion diskutierte die Fälle kurz in einer Sitzung, dann wurde die Schlichtungskommission beauftragt. Das Problem löste sie damit nicht.
Die AfD stellt nach der Wahl weniger Abgeordnete als in der letzten Legislaturperiode, was auf die Stimmung drückt. Vor allem aber wirkt die Fraktion, die immer das Machtzentrum der Partei war, orientierungslos. Außer ihrem Kampf gegen die Einführung einer Impfpflicht haben die extrem Rechten derzeit kein prägendes Thema. Stattdessen befürchten einige, dass sich die Rolle als Antreiber der vielerorts gewalttätigen und antisemitischen »Querdenker«-Demos rächen könnte. Für ein eigenes starkes Profil reiche das nicht, sagen die Kritiker. Die Umfragewerte der AfD sind schlecht, und noch immer droht die Einstufung der gesamten Partei als rechtsextremistischer Verdachtsfall durch den Verfassungsschutz. Eine Entscheidung dazu wird im März erwartet. Und all das in einer Partei, die tief gespalten ist und sich seit Monaten in einem weiteren zehrenden Machtkampf befindet.
Funktionäre und Mitarbeiter sprechen mittlerweile von der »Alternative für Dilettanten«, manche bescheinigen den eigenen Kolleginnen und Kollegen »Politikunfähigkeit«. Von Einigkeit keine Spur.
Viele Abgeordnete machen Alice Weidel und Tino Chrupalla, die Fraktionschefs, als Schuldige aus. Sie hätten den Laden nicht im Griff, es fehle der erfahrene Alexander Gauland, der zuvor die Fraktion mit Weidel angeführt hatte. Auf ihn hätten die meisten gehört, er habe als »Brückenbauer« gegolten. Weidel und Chrupalla dagegen führten die Fraktion mit härterer Hand, heißt es. Sie würden Diskussionen auch mal abbrechen und damit die »Meinungsfreiheit verletzen«, wie ihre Kritikerinnen und Kritiker sagen. Inhaltliche Impulse aber kämen kaum.
AfD-Wahlkampf mit Weidel und Chrupalla: Der Versuch einer großen Täuschung Von Veit Medick und Ann-Katrin Müller
Der Versuch einer großen Täuschung
Tatsächlich verweigern mittlerweile viele den Chefs die Gefolgschaft, selbst wenn es darum geht, die Arbeit zu professionalisieren. So hatten Weidel und Chrupalla gemeinsam mit dem fürs Personal zuständigen Fraktionsvize Leif-Erik Holm vorgeschlagen, die Arbeitskreise neu zu organisieren, damit mehr von deren Vorschlägen beim Fraktionsvorstand ankommen. Doch die Fraktion lehnte den entsprechenden Stellenplan ab. Sie wollten verhindern, dass die Fraktionsspitze mehr Macht und Kontrolle bekommt.
Andere sehen die Zusammensetzung der neuen Fraktion als Grund allen Übels. Zu viele »Wirrköpfe« seien dort, der »gärige Haufen«, von dem Gauland sprach, sei gewachsen. Die Pandemie habe zu einer weiteren Radikalisierung geführt.
Zudem fehlt der Parteispitze eine Idee, wie man thematisch weitermachen will, wenn die Pandemie sich in eine endemische Lage wandelt und es am Ende womöglich gar keine Impfpflicht geben wird. Mit welchen Thesen die AfD dann bei ihren Anhängerinnen und Anhängern punkten will, dafür gibt es keinen Plan, egal wen man fragt.
Fraktionschef Chrupalla winkt auf Anfrage ab: Themen gebe es auch nach Corona zur Genüge. Die »Reibungspunkte und Findungsprozesse« zu Beginn der Legislatur seien »ganz normale Prozesse«. Schließlich sei es auch »die erste Fraktionsübergabe, die die AfD je machen musste«. Die Kommunikation innerhalb der Fraktion »kann man immer verbessern«, gibt er zu, und natürlich müssten sich die Abgeordneten in der neuen Zusammensetzung noch »aneinander gewöhnen«. Insgesamt aber, sagt der Fraktionsvorsitzende, laufe es gut.
Einige in der Fraktion sehen das anders. Seit Tagen macht ein Facebook-Beitrag des Abgeordneten Jürgen Pohl aus Thüringen die Runde, der sich zum Neuen Jahr wünschte: »Genug mit den liberalen Freunden in unserer Partei.« Die Forderung fand offenbar sogar Anklang in der Fraktionsspitze. Einem Account von Alice Weidel jedenfalls gefiel das, zumindest zeitweise. Inzwischen ist das »Gefällt mir« verschwunden. Die Screenshots davon aber werden fleißig verschickt, der Fall soll sogar im Bundesvorstand besprochen werden.
www.spiegel.de/politik/deutschland/afd-im-bundestag-alternative-fuer-dilettanten-a-ec7f32f1-39fb-4f75-bd01-445c2656826f
the knife phludowin